Babyfon „Zenith Radio Nurse“, 1938 Entwurf: Isamu Noguchi; Ausführung: Zenith Radio, USA; Sammlung Kargl © The Noguchi Museum / ARS
Als erster echter Kunststoff revolutionierte Bakelit die Alltagskultur der 1920er bis 1950er Jahre. Mit „Bakelit. Die Sammlung Georg Kargl“ widmet das MAK diesem außergewöhnlichen Rohstoff erstmals eine eigene Ausstellung. 300 Objekte aus der Privatsammlung des Wiener Galeristen Georg Kargl (1955–2018) geben Einblick in die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten und das ästhetische Vermächtnis eines Materials, das als erster industriell gefertigter, vollsynthetischer Rohstoff auf der Basis von Harzen eine billige Massenproduktion von Alltagsgegenständen in beinahe unbeschränkter Formenvielfalt ermöglichte: von Telefonen über Picknickdosen bis hin zu Radios. Die MAK-Ausstellung, die ab Dienstag, 14. Juli 2020, 18:00 Uhr, zugänglich ist, vollzieht die Geschichte von Bakelit vom kometenhaften Aufstieg zur Ikone einer modernen Produktkultur bis hin zur Verdrängung durch andere Kunststoffe und aufgrund ökologischer Gesichtspunkte nach.
Bakelit trägt den Namen seines Erfinders: Der belgische Chemiker Leo Hendrik Baekeland (1863–1944) forschte in den USA ab 1899 an der Entwicklung eines kostengünstigen Isolationsmaterials für die Elektroindustrie als Ersatz für bis dahin eingesetzte Naturmaterialien wie Schellack und Zelluloid. 1907 konnte er sein Ersatzprodukt auf Basis des Kohlenwasserstoffproduktes Phenol patentieren und benannte den vollsynthetischen Kunststoff Bakelit. Ab seiner Markteinführung im Jahr 1920 wurde Bakelit aufgrund seines Härtegrades und seiner Hitze- und Säurebeständigkeit das Material der Stunde für die Technik und Elektroindustrie im Zeitalter der Konsumgesellschaft und industriellen Massenproduktion, dem „Machine Age“.
Als für alle Zwecke einsetzbares Industriematerial gelang es Bakelit, eine Brücke zwischen Kunst und Industrie zu schlagen. Das „Material der 1 000 Möglichkeiten“ wurde zunehmend auch wegen seiner ästhetischen Qualitäten geschätzt. Bedeutende Designer nutzten die Produkttechnologie in ihren Entwürfen für Massenprodukte im neuen „Streamline Design“, das Elemente des Fahrzeug-Designs zur Verringerung des Luftwiderstandes in die Formgebung des Art déco integrierte.
Über Jahrzehnte hinweg beschäftigte sich Georg Kargl mit Bakelit. Seine Sammlung beinhaltet einen repräsentativen Querschnitt über die künstlerischen Gestaltungspotenziale des außergewöhnlichen Rohstoffs: von High bis Low, vom Massenprodukt bis zum Designerstück. Mit der Ausstellung zu Bakelit gibt das MAK diesem wenig bekannten Sammlungsschwerpunkt eines der bedeutendsten ProtagonistInnen der Wiener und internationalen Kunstszene und ExpertInnen der Wiener Moderne im Bereich der angewandten Kunst ein Forum.
Die Ausstellung „BAKELIT. Die Sammlung Georg Kargl“ umfasst Stücke aus dem Zeitraum zwischen 1930 und 1970, die eine strenge Ästhetik verbindet. Diese resultiert aus einer intrinsischen Beziehung zwischen erwarteter Funktion, technologischen Eigenschaften und Möglichkeiten des Materials sowie verfügbaren Verfahren. In einem eigens entworfenen Ausstellungsdisplay des Künstlers Mladen Bizumic werden die Objekte in 14 Sachgruppen präsentiert. Zu sehen sind unter anderem elektrische Geräte wie Ventilatoren, Haarföhne, Kaffeemühlen, Bügeleisen und Staubsauger, Kommunikationsmittel wie Telefone, Radio- und Fernsehgeräte (das Bush-TV-Set aus GB) und Lautsprecher, die ikonischen Jumo-Lampen aus dem Frankreich der 1920er Jahre, Fotoapparate, Fahrzeugmodelle sowie das Babyfon nach einem Entwurf von Isamu Noguchi.
Die Ausstellung thematisiert in begleitenden Texten die Geschichte eines Materials, das als erster Kunststoff die Produktion des frühen 20. Jahrhunderts revolutionierte und maßgebliche gesellschaftliche Bedeutung entfaltete. Als Dokumente der Ästhetik der ersten Phase der Vollmechanisierung der modernen Gesellschaft haben Bakelit-Objekte in der Designgeschichte ihren unbestrittenen Platz. Die weitere Entwicklung von Kunststoffen wurde von sich wandelnden wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt und zunehmend von ökologischen Fragestellungen beeinflusst. Heute erfüllt Bakelit als weder abbau- noch recycelbares Vollsynthetik-Material nur noch eine Nischenfunktion. Wie damals befinden wir uns auch heute an der Schwelle eines neuen Produktionszeitalters. Die Bakelit-Sammlung von Georg Kargl regt zur grundsätzlichen Reflexion über neue Materialien und ihre Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung in einer Zeit des Umbruchs an.
Öffnung: Dienstag, 14. Juli 2020, ab 18:00 Uhr
Ausstellungsort: MAK DESIGN LAB, MAK, Stubenring 5, 1010 Wien
Ausstellungsdauer: 14. Juli (Öffnung ab 18:00 Uhr) – 26. Oktober 2020
Öffnungszeiten: Di 10:00–21:00 Uhr, Mi–So 10:00–18:00 Uhr
Kuratorisches Team: Rainald Franz, Gerson Lessa
Künstlerische Ausstellungsgestaltung: Mladen Bizumic
Technische Koordination: Itai Margula
Kuratorenführungen mit Rainald Franz:
Do, 16. Juli, 17.00 Uhr und Di, 8. September, 18.00 Uhr
Begrenzte TeilnehmerInnen-Zahl (25 Personen)
Anmeldung unbedingt erforderlich unter www.mak.at/vermittlung
Bitte wenn möglich eigene Kopfhörer für die Führung mitbringen.
MAK-Eintritt: € 14 / ermäßigt € 11 / Familienkarte € 15
Jeden Dienstag 18:00–21:00 Uhr: Eintritt € 6
Bis Ende Juli freier Eintritt an Dienstagabenden
Eintritt frei für Kinder und Jugendliche unter 19
Quelle: MAK-Presse und Öffentlichkeitsarbeit Judith Anna Schwarz-Jungmann (Leitung) Cäcilia Barani, Sandra Hell-Ghignone, Veronika Träger / ots // Fotocredit: © MAK/Georg Mayer